Klavier, schwarz-weiß Foto, Fadenbild, Grußkarte, Designerkarte exklusiv

Liebe Cäcilia,

nach langer Zeit schaffe ich es endlich, Dir einen Brief zu schreiben. Wie Du weißt, bin ich für Überraschungen immer wieder gut.

Ich glaube, darüber haben wir noch nie gesprochen (weil es normalerweise belanglos ist) aber ich bin kein Typ für die Vorworte und fast hätte ich es in meiner üblichen Manier, das Vorwort geflissentlich zu übergehen, auch bei dem Buch „Der Klang: Vom unerhörten Sinn des Lebens“ von Martin Schleske getan. Zu meinem Glück habe ich es ausnahmsweise nicht so gehandhabt, mir wäre etwas entgangen.
Das Vorwort beginnt mit einem Zitat von dem Künstler und Architekten Friedensreich Hundertwasser (15.12.1928 – 19.02.2000). Aufmerksam wurde der Geigenbauer Martin Schleske auf das Zitat durch die Ausstellung vom 16.10.2004 bis 23.01.2005 in der Münchner Whitebox / Kultfabrik. Martin Schleske hat diese Ausstellung besucht und er sah auf einem der Kunstwerke Worte, bei denen es um Gleichnisse im Leben geht, die wir aber nicht mehr wahrnehmen, nicht mehr deuten können. Aus der Sicht des Architekten hat der Mensch deshalb aufgehört ein Ebenbild Gottes zu sein und deshalb seien wir eigentlich tot.
Zunächst habe ich, liebe Cäcilia, das Zitat nicht so ganz verstanden, ja, ich empfand es gar als Zumutung und unerhört. Obgleich ich Friedensreich Hundertwasser zu schätzen weiß, so empfand ich es dennoch als eine unglaubliche Anmaßung und Unverschämtheit, so über die Menschen zu urteilen. Mein Unmut reduzierte sich erst im weiteren Lesen, Martin Schleske erläuterte es dann mit seinen Worten. Wirklich hin-hören, hin-schauen, fällt auch mir häufig schwer. Ich weiß zwar, dass man es auf vielfältige Weise trainieren kann, sei es, bewusst einer Musik zu lauschen, sei es, ein Kunstwerk genau zu betrachten, sei es, die Stille zu suchen und auszuhalten. Die Stille, der Rückzug ist für mich derzeit ein großes Thema, verstärkt wurde es durch die Teilnahme an den Alltagsexerzitien – Mein Pilgerweg.

Wahrscheinlich findest Du es, nachdem Du nun weißt, wie sehr ich die Stille suche, gar nicht mehr sonderbar, dass ich gestern einen Klostertag eingelegt habe, das frühe Aufstehen habe ich mir jedoch geschenkt. Bevor ich mich an die Karten und an die ersten beiden Verse der Schöpfungsgeschichte setzte, meditierte ich und machte anschließend Yoga. Dann nahm ich den Rhythmus eines Klosteralltags auf: eine Stunde arbeiten, halbe Stunde Pause, zwei Stunden arbeiten, 90 Minuten Pause … Ich war überrascht, wie gut mir alles von der Hand ging, wie gut ich mich auf die beiden Verse einlassen konnte. Abends setzte ich mich hin, ließ den Tag Revue passieren, überlegte mir, welche Farbe ich dem Tag geben möchte, ließ mich zudem von der finnischen Designerin Maija Sofia Isola (15.03.1927 – 03.03.2001) inspirieren. Ich entschied mich für die Farbe himmelblau / türkis. Zwei verschiedene Formen, die sich ineinander schmiegen, bilden eine Einheit. Anfangs wollte ich nur zur Auflockerung noch ein paar schwarze Striche hinzufügen, dann bemerkte ich jedoch, dass ich zufällig fünf Linien nebeneinander oder untereinander gezeichnet hatte und da lag es für mich Nahe, dem Ganzen noch ein paar Noten hinzuzufügen. Und so lag der Arbeitstitel quasi vor mir: Musik liegt in der Luft.

Wir leben in einer Zeit der großen Umbrüche, aber auch in einer großen Glaubensfreiheit. Man kann das letztgenannte bedauern, da viele Menschen sich von den Religionen abwenden, man kann sich aber auch glücklich schätzen, da man eine hohe Gestaltungsfreiheit hat und man nicht mehr, wie früher üblich, dafür sanktioniert oder schlimmer noch, zum Tode verurteilt wird wie in der Inquisition. Wie Du Dir sicherlich vorstellen kannst, begrüße ich den letzten Teil. Martin Schleske beschreibt es in seinem Vorwort ähnlich: „… hat mit einer liebenden Suche und einer suchenden Liebe zu tun.“ Das Glaube nur wenig bis gar keine Nahrung liefert, wenn ich es nicht auch gestalte, habe ich erst in den letzten Monaten besser verstanden. Institutionen wie Kirche kann einem einen Rahmen geben, den auszugestalten bleibt mir überlassen – ja, nur ich kann dem Glauben Gestalt geben. Dies war ein langer schmerzlicher Prozess, der noch längst nicht abgeschlossen ist. Möglich wurde für mich der Prozess, als ich vor ein paar Monaten beschloss, alles was ich bisher über das Christentum gelernt habe und wie man dem Ausdruck verleiht, so gut als mir irgend möglich auf Seite zu schieben, meinen Kopf und meinen Geist endlich frei zu machen von Vorstellungen, die möglicherweise meinen nicht entsprechen, ich gönnte mir also ein tabula rasa. Vorsichtig tastete ich mich heran – dieser Vorgang ist noch längst nicht abgeschlossen, mein hadern mit Gott oder besser gesagt, mit seiner Existenz hat nicht aufgehört, die Zweifel wabern im Hintergrund, wachen zwischendurch auf und schmeißen mit Brocken nach mir. Dem Zweifel lasse ich im Moment nur wenig Raum, da ich die zarte Pflanze nicht gefährden möchte, die vorsichtige Annäherung an Gott ist mir sehr wichtig weil ich spüre, dass es mir gut tut, und ja, auch auf die Gefahr hin, dass ich nicht verstanden werde: mit jedem weiteren Schritt mit Gott fühle ich mich freier und diesem unglaublichem Gefühl der Freiheit möchte ich nicht so ohne weiteres hergeben. Mit diesen Worten, liebe Cäcilia, beende ich diesen Brief.

Wie geht es Dir? Hast Du etwas Neues komponiert?

Sei ganz lieb gegrüßt
Sabeth

Angaben zum Buch:
Martin Schleske: Der Klang
Vom unerhörten Sinn des Lebens
Mit Fotos von Donata Wenders
Hardcover mit Schutzumschlag
352 Seiten
14,5 x 21,5 cm
Verlag: Kösel
ISBN: 978-3-466-36883-9
Erschienen: 04.10.2010
Preis: 24,00 € (D), 24,70 € (A)

Siehe auch:
> Auf der Website von () Martin Schleske
> Hier kann () man das Buch bestellen


 

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