Lieber Jehuda,

es tut mir sehr, sehr Leid, dass Deine Enkelin im Gefängnis sitzt und das nur, weil sie ihre Meinung über den Präsidenten Aljaksandr Ryhorawitsch Lukaschenka geäußert hat. Mir fehlen dafür die Worte. Für wie lange muss sie im Gefängnis bleiben? Wann hört endlich die Tyrannei auf?

Bei uns diskutiert man über die „kulturelle Aneignung“. Das ist im Vergleich zu Eurer Situation nur ein Randproblem, Gedanken mache ich mir aber dennoch darüber. Gemeint ist damit, dass man als dominante Kultur sich bei der sogenannten „Minderheitenkultur“ bedient, ohne dessen Kontext zu beachten. Das klingt human – aber ist es das auch? Und was bedeutet dies letztendlich? In Deutschland dürften wir demnach so gut wie keine Musik, keine Kunst und keine Literatur mehr verwenden, da selbst unsere Nationalhymne aus orientalischen Elementen in Text und Musik besteht. Will man wirklich anderen Kulturen verbieten, dass sie sich aus unserem Repertoire bedienen? Darf ein Mensch, der in Afrika lebt und somit in einer dominanten Kultur lebt, keine europäische Kunst mehr anwenden? – Ich denke, dass ist wohl (hoffentlich) nicht damit gemeint. Du merkst schon, lieber Jehuda, es ist eine problematische Auseinandersetzung, die letztendlich zu nichts führt und auch nichts klärt, man könnte auch von einer Scheindebatte sprechen. Das eigentliche Problem bleibt nämlich hierbei unberührt, da es eigentlich um die Frage gehen müsste, wie gehen wir mit anderen Kulturen um? Begegnen wir ihnen wirklich auf Augenhöhe oder wissen wir alles besser?
Bevor ich mich immer weiter in dieses Thema hineinsteigere, lieber Jehuda, komme ich auf meinen Alltag zurück. Heute Abend werde ich zu unserer hiesigen interreligiösen Gruppe gehen, dort werden wir gemeinsam für die Erdbebenopfer in Syrien und Türkei beten. Außerdem werden wir über die Fahrt nach Marburg sprechen, im März werden wir nämlich eine Synagoge besuchen. Gemütlich wird es wohl heute, da wir uns in Kleingruppen zusammensetzen, jeder, der möchte, kann etwas zu Essen mitbringen und wir werden uns über unseren Glauben austauschen.

Ich bin übrigens sehr erleichtert, dass ich Dein erstelltes Porträt von Marc Chagall (06.07.1887 – 28.03.1985) verwenden darf und noch mehr freut es mich, dass Dir die Karte gefallen hat. Vielleicht gefällt Dir auch diese Designerkarte.

Darfst Du Deine Enkelin im Gefängnis besuchen?

Ich denke oft an Dich und an Deine Enkelin, täglich zünde ich eine Kerze an und bitte Gott, dass er Euch diesen bitteren Kelch nicht bis zum letzten Tropfen austrinken lässt.

Sei ganz lieb gegrüßt
Sabeth

> Siehe auch:


 

Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.