„Diese Männer leben in Frieden mit uns. Sie sollen sich im Land ansiedeln und darin umherziehen. Siehe, das Land hat nach allen Seiten Platz genug für sie. Wir könnten ihre Töchter zu Frauen nehmen und unsere Töchter ihnen geben.“

Genesis 34,21 (Einheitsübersetzung 2016)

Liebe Edith,

am Dienstagabend (07.11.2023) schaute ich mir auf ARD „report München – extra“ an. In diesem Bericht erzählen drei Menschen von ihren Erfahrungen über Drohungen aller Art insbesondere seit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas ihren Terroranschlag in Israel mit Geiselnahme verübten. Mich macht es völlig fassungslos, wie wir miteinander umgehen. Drei Menschen widersetzen sich seit Jahren mit großer Hingabe jeglichem Extremismus, machen sich für Demokratie stark und genau sie sind einem grenzenlosen Hass ausgesetzt, der mich umhaut. Während ich mir die Sendung anschaute, flossen bei mir Tränen und wenn ich an die Sendung denke, bereiten sich die nächsten Tränen vor, es sind Tränen der Verzweiflung, der Hilflosigkeit, Tränen der Anteilnahme, Tränen der Trauer.
Du weißt, wie glücklich ich im Herbst 2015 war, als ein Ruck durch Deutschland ging, tausende von Menschen mit anpackten, um den ankommenden Flüchtlingen ein Herzliches Willkommen zu bereiten. In zahlreichen Initiativen kümmerte man sich um Notwendiges wie Nahrung und Kleidung, man begleitete sie zu Behörden. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich ein patriotisches Wohlgefühl – und jetzt? Ich bin entsetzt! Mein Verstand kann mir durchaus plausibel die jetzige Situation erklären aber mein Herz weigert sich, diese Erklärungen voll und ganz anzunehmen. Mein Herz zeigt mir stattdessen, wie brutal mit andersdenkenden Menschen umgegangen wird, jede noch so fadenscheinige Begründung wird benutzt, um Hass und Terror zu rechtfertigen.
Ich erkenne dieses Land nicht mehr wieder, wo bleibt die Solidarität mit den Opfern – hier und anderswo? Und ich? – Ich, liebe Edith habe mich in den letzten Wochen rar gemacht, aus Sorge, mir könnte ähnliches geschehen wie den drei Menschen, Seyran Ateş, Düzen Tekkal und Ahmad Mansour. Vielleicht erinnerst Du Dich noch daran, als ich im Herbst 2014, zur selben Zeit als in Wuppertal die sogenannte „Scharia-Polizei“ aktiv war, ich zunächst einen Davidsstern vor meiner Wohnungstür hatte, später wurde ich von einem älteren Mann bespuckt da ich nach seiner Ansicht einen zu großen Ausschnitt an meiner Bluse hatte. Für einige Zeit konnte ich diese Begebenheiten vergessen aber seit dem 7. Oktober 2023 sind sie wieder für mich sehr präsent, lähmen mich, machen mir Angst. Zum Glück durfte ich die drei vorbildlichen Menschen in der Sendung erleben, sie machen mir Mut, sie zeigen mir, wie man solidarisch sein kann ohne weiteres Öl in die erhitzten Gemüter zu gießen und ich beschloss, mein Schweigen zu brechen.

Und wie geht es Dir, liebe Edith?

Sei ganz lieb gegrüßt
Sabeth

Siehe auch: Das Erste (): report München: Trauer und Verzweiflung in Nahost (verfügbar in der Mediathek bis zum 07.11.2024)

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