Liebe Teresa,

im letzten Brief schrieb ich Dir über die Bedeutung der amerikanischen Flagge. Heute möchte ich Dir eine Frau vorstellen, von der Du vielleicht bisher noch nichts gehört hast, die Dir aber vielleicht sympathisch ist, gehört sie doch zu einer der ersten Wegbereiterinnen der Frauenbewegung in weltlicher sowie in religiös-christlicher Hinsicht. Sie heißt Anne Hutchinson. Geboren wurde sie in Großbritannien und sie wurde am 21. Juli 1591 getauft. Es kommt Dir sicherlich bekannt vor, denn auch Deinem Vater war es wichtig, dass Du eine solide Ausbildung bekamst, so auch im Fall von Anne Hutchinson, ihr Vater sorgte dafür, dass sie und ihre Schwester lesen und schreiben lernten. Für die damalige Zeit war das sehr fortschrittlich, für Anne sollte es zum Segen und Fluch zugleich werden.

Anne Hutchinson on Trial, Gemeinfrei

Mit 21 Jahren heiratete sie den Kleiderhändler William Hutchinson (1586 – 1642). Trotz der Heirat arbeitete sie als Hebamme und war als Kräuterfrau gefragt. Kenntnisse über Heilmöglichkeiten hatte sie durch ihre Mutter erworben, die ihre beiden Töchter schon früh darin unterwies. Wie sich genau ihre Tätigkeiten gestaltete, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es ein Fulltime-Job war, da sie im Laufe von 18 Jahren insgesamt 15 Kinder bekam, wovon fünf Kinder bis zum Frühherbst 1634 starben. Ich finde das ziemlich krass, das klingt für mich nach Gebärmaschine, jedoch weiß ich, dass es in damaliger Zeit durchaus üblich war, man denke nur an die Kaiserin Maria Theresa von Österreich (13.05.1717 – 29.11.1780), die insgesamt 16 Kinder hatte.

All das klingt nach geordneten Verhältnissen und doch wandert die Familie im September 1634 in die USA aus. Warum fragst Du – dieselbe Frage stelle ich mir auch. Ich vermute, dass es dafür ein ganzes Bündel an Gründen gab. Zum einen litt die britische Bevölkerung infolge des Krieges gegen Spanien (bekannt unter der Bezeichnung „Spanische Armada“, vom 19.07.1588 – 08.08.1588) unter der Königin Elisabeth (07.09.1533 – 24.03.1603) an hoher Steuerlast. Zudem hatte Elisabeth I. die Regeln und Gesetze gegen Puritaner deutlich verschärft.  

Anne und ihr Mann besuchten des Öfteren den puritanischen Geistlichen John Cotton (04.12.1585 – 23.12.1652). Nachdem er 1630 seine berühmte Predigt „Gods Promise to His Plantation“ gehalten hatte, wurde er zwei Jahre später vor ein Gericht gestellt. Es sah nicht gut für ihn aus. Bevor es zu einer Verurteilung kommen konnte, setzte er sich nach Amerika ab und kam am 3. September 1633 in Boston an.

Und unter dem englischen König Karl I. (19.11.1600 – 30.01.1649) wurde die Situation für die Puritaner nicht besser. Dann zeichnete sich auch noch Ende der 1620er, Anfang der 1630er ein Bürgerkrieg ab. Es gab also für das Ehepaar gute Gründe das Land zu verlassen.

Die Familie ließ sich in den USA in Boston nieder. Wie schon in Großbritannien erteilte Anne Hutchinson den Frauen Bibelstunden. In diesen Stunden besprach sie vor allem die Predigt des jeweils letzten Sonntages. Nach und nach setzte sie dabei eigene Akzente, was einigen ganz und gar nicht gefiel. Als es dann auch noch in der religiösen Gemeinschaft zu Auseinandersetzungen kam – letztendlich ging es um Machtpositionen – wurde die Gelegenheit genutzt um sie durch ein juristisches Verfahren mundtot zu machen und verbannt. Am 1. April 1638 zog sie hochschwanger mit ihrer Familie sowie mit weiteren Familien, die aus ähnlichen Gründen verbannt worden waren, nach Rhode Island. Anstatt das nun Ruhe einkehrte, wurde es für Anne Hutchinson noch prekärer. Etwa einen Monat später gebar sie ein behindertes totes Kind. Anstelle von Mitleid beschuldigte man sie einer dämonischen Besessenheit und bescheinigten ihr, dass dies die Strafe Gottes sei.

Liebe Teresa, ich finde es schrecklich, wie sie mit ihr umgegangen sind und ich kann mir durchaus vorstellen, wie sie sich gefühlt hat. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an meinen Anruf als ich Dir unter Tränen davon berichtete, dass ein guter junger Freund von mir gestorben ist. Vielleicht weißt Du auch noch, dass meine Mutter anstelle von Trost mir die barsche Antwort auf die Nachricht gab, dass dies die Strafe Gottes sei, da ich nicht so gehandelt, wie sie sich das vorgestellt hatte. Das liegt zwar schon viele Jahre zurück aber ich weiß noch, wie ich auf einem Sessel zusammengekauert saß und fassungslos war. Liebevoll sprachst Du mit mir, machtest mich darauf aufmerksam, dass es ein grausamer Gott wäre, wenn er mich auf diese Weise bestrafen würde, zugleich die Eltern und Freunde des jungen Mannes gleich mitbestraft.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gott keinen Menschen auf Erden bestraft, vielmehr sind es natürliche Umstände wie Krankheit oder von Menschen herbeigeführte Katastrophen, um andere zu verletzen. Für das Leid auf dieser Welt Gott verantwortlich zu machen, ist mir nicht nur zu billig, sondern der Versuch, sich aus der Eigenverantwortung zu schleichen.

Anne Hutchinson musste während ihrer Schwangerschaft demütigendes Verhalten ertragen, musste sich dann auch noch auf eine schwierige Wanderung wegen der Verbannung begeben – all das macht Menschen krank, und manchmal auch das ungeborene Kind. Aber ich weiß, Menschen können unerbittlich und gnadenlos sein.

Nachdem ihr Mann gestorben war, zog sie nach New York, welches damals eine niederländische Kolonie war und Händler aus Amsterdam magisch anzog. Bei einem Überfall im August 1643 kam sie sowie fast all ihre Kinder, bis auf eine Tochter, ums Leben. Dass dies wiederum von einigen Puritanern als Strafe Gottes gesehen wurde, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Zum Glück ist es ihnen nicht gelungen, Anne Hutchinson aus der Historie zu streichen, im Gegenteil, der Fluss in New York „Hutchinson River“ wurde nach ihr benannt.

Anne Hutchinson ist für mich, liebe Teresa, eine starke Frau.

Was beschäftigt Dich im Moment?

Sei ganz lieb gegrüßt
Sabeth

> Siehe auch: Cherokee Chief (Designerkarte)
> Siehe auch: 100 Jahre Weltgebetstag der Frauen


Quellen:
Vgl. Helga Hiller: Ökumene der Frauen. Anfänge und frühe Geschichte der Weltgebetstagsbewegung in den USA, weltweit und in Deutschland. Mit vielen Quellentexten, Deutsches Weltgebetstagskomitee – 1999, S. 27
Vgl. Wikipedia (): Anne Hutchinson, zuletzt besucht am 21.07.2023 
Vgl. Wikipedia (): John Cotton, zuletzt besucht am 23.11.2023 

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